Ich bin jetzt seit über 12 Jahren Anwalt, aber bin bisher bei keiner der vielen Entscheidungen, an denen ich als Anwalt beteiligt war, auf die Idee gekommen, dass eine der Parteien durch die Rechtsprechung in ihren Grundrechten verletzt wurde. Bis jetzt. Die für das Wohnungseigentum zuständige  Zivilkammer 18 des Landgericht Hamburg hat mich mit insgesamt 3 Entscheidungen „beglückt“, bei denen ich erstmalig der Meinung bin, dass die – offensichtlich ergebnisorientierten – Entscheidungen das Grundrecht meiner Mandanten auf Eigentum – Artikel 14 GG – verletzen. Daher habe ich mich nicht nur zu einer, sondern gleich zu drei  Verfassungsbeschwerden entschlossen. Mir ist durchaus bewusst, dass die Erfolgsquoten derartiger Verfassungsbeschwerden eher dürftig sind (Statistik des BVerfG), aber diesmal kann ich – und die Mandanten – nicht anders:


In allen drei  Verfahren ging es um die Nutzung von Sondernutzungsflächen von Doppelhäusern im Sinne des § 5 Wohnungseigentumsgesetz. Vereinfacht ausgedrückt also  um die Grundstücksflächen, die zu der jeweiligen Doppelhaushälfte gehören. Immer wenn eine Realteilung des Grundstücks bei Doppelhäusern nicht möglich ist, wird eine Wohnungseigentümergemeinschaft gebildet.  Dann kann aber das Grundstück nicht den jeweiligen Doppelhauseigentümern als im Grundbuch eingetragenes Realeigentum zugewiesen werden, vielmehr  behilft man sich mit der Zuweisung der jeweiligen Flächen  als dinglich – also im Grundbuch – eingetragene  Sondernutzungsflächen. Das Sondernutzungsrecht berechtigt, die jeweilige Fläche unter Ausschluß der übrigen Eigentümer im Rahmen der Vorgaben der Teilungserklärung und des Wohnungseigentumsgesetzes zu nutzen.  Die Größe und Lage der Sondernutzungsflächen  werden im Rahmen der Teilungserklärung einvernehmlich durch alle Eigentümer im Rahmen einer Vereinbarung (§ 10 WEG) festgelegt. Dies erfolgt meist durch eine maßstabsgetreue Skizze als Anlage zur Teilungserklärung, in dem die jeweiligen Sondernutzungsflächen genau eingezeichnet werden. Wird die Doppelhaushälfte durch die Eigentümer verkauft, geht auch das dingliche eingetragene Sondernutzungsrecht auf den Erwerber über.

In den vorliegenden Fällen hatten meine Mandanten jeweils eine solche, bereits bestehende Doppelhaushälfte erworben. Nach etlichen Jahren entdeckten die Mandanten jedoch, dass die von Ihnen tatsächlich genutzte Sondernutzungsfläche (sprich der Garten) irgendwie nicht mit den Vorgaben der Teilungserklärung übereinstimmte. Sie  ließen jeweils durch Sachverständige nachmessen und mussten feststellen, dass tatsächlich die Gärten zu klein waren und Teile der Sondernutzungsfläche von anderen Wohnungseigentümern nun als Zufahrt bzw Parkplatz benutzt wurden. Die tatsächlichen Grundstücke entsprechen also nicht der Teilungserklärung.

Gemäß § 985 BGB kann auch der Sondernutzungsberechtigte von dem anderen Wohnungseigentümer die Herausgabe der Sondernutzungsfläche verlangen. Der Herausgabeanspruch des Eigentümers verjährt gemäß § 197 BGB erst nach dreißig Jahren. Genau das haben meine Mandanten nun von den anderen Wohnungseigentümern verlangt. Außergerichtlich wurde dies zurückgewiesen, so dass meine Mandanten vor dem Amtsgericht Klage erhoben. Die entsprechenden Klagen wurden jedoch wegen Verwirkung abgewiesen. Das erstaunte doch sehr, da der BGH bereits 2007 – zwar hinsichtlich Realeigentum – jedoch unmissverständlich und meiner Meinung nach auch auf das WEG anwendbar ausgeführt hatte:

Soweit es um die Verwirkung des Herausgabeanspruchs aus dem in das Grundbuch eingetragenen Eigentum geht, ist darüber hinaus zu berücksichtigen, dass die Ansprüche aus dem eingetragenen Eigentum nach der ausdrücklichen Entscheidung des Gesetzgebers in § 902 Abs. 1 BGB als unverjährbar ausgestaltet sind und die Verwirkung des Herausgabeanspruchs das Eigentum als „Rechtskrüppel“ (vgl. Staudinger/Gursky, BGB [2002], § 902 Rdn. 1) zurücklässt, das gegen die Eintragung im Grundbuch noch nicht einmal im Wege der Ersitzung nach § 900 Abs. 1 BGB erstarken kann. Für die Verneinung des Herausgabeanspruchs des im Grundbuch eingetragenen Eigentümers unter dem Gesichtspunkt der Verwirkung folgt daraus, dass eine Verwirkung nur angenommen werden kann, wenn sich die Verpflichtung zur Herausgabe für den Besitzer als schlechthin unerträglich darstellt.
(BGH, Urteil vom 16. März 2007 – V ZR 190/06 –, Rn. 9, juris)

Eine Verwirkung wäre also in Betracht gekommen, wenn die Herausgabe für  den Besitzer „unerträglich“ wäre. Dies war bei den als Zufahrt bzw Parkplatz genutzten Flächen aber nicht der Fall und wurde auch nicht vom Gericht  behauptet.

Dagegen wurde in allen drei Verfahren Berufung zum Landgericht Hamburg eingelegt.     Für Wohnungseigentümer ist die Zivilkammer 18 zuständig. Diese Tat sich mit dem Fall und der einen Wohnungseigentümergemeinschaft (die schon zum dritten Mal diese Kammer beanspruchte und daher „bekannt“ war) schwer, und versuchte nachhaltig eine Mediation zu erreichen, was aber an der starren Haltung der Gegner scheiterte. So wurde in allen drei Fällen ein Urteil verkündet und die Entscheidungen der Amtsgericht gehalten und auch vom Berufungsgericht eine Verwirkung bejaht. Der wesentliche Teil der  Begründung der Verwirkung ist in allen drei Verfahren gleich und auch Grund für die nun eingelegte Verfassungsbeschwerde:

Letzteres ist jedoch, wie das Amtsgericht zutreffend angenommen hat, der Fall. Die Annahme einer Verwirkung setzt Voraus, dass seit der Möglichkeit, das Recht geltend zu machen, längere Zeit verstrichen ist (Zeitmoment) und das besondere Umstände hinzutreten (Umstandsmoment), welche die verspätete Geltendmachung des Rechts als gegen Treu und Glauben verstoßen erscheinen lassen (Palandt-Grüneberg, a.a.O, § 242 Rn. 87). Gegenstand der Verwirkung können dabei auch einzelne Ansprüche aus einem dinglichen Recht sein, ebenso Ansprüche aus § 15 Abs. 3 WEG (Palandt-Grüneberg, a.a.O, § 242 Rn 105; OLG Celle NJW-RR 2007, 840 ff; BayObLG NJW-RR 1991, 1041). Zu berücksichtigen ist insoweit, dass es vorliegend nicht um den Kernbestand des Eigentums selbst geht, weil die Parteien Miteigentümer der streitgegenständlichen Gemeinschaftsfläche sind – und bleiben. Der Sachverhalt liegt insoweit anders als in der Entscheidung BGH NJW 2007,2 1183, bei der es um Ansprüche im Verhältnis zwischen Grundstücksnachbarn ging. Im vorliegenden Fall geht es vielmehr um Fragen der konkreten Nutzung des gemeinschaftlichen Eigentums. Stimmen Wohnungseigentümer insoweit konkludent oder ausdrücklich einer von der Teilungserklärung abweichenden Nutzung zu, begeben Sie sich unter Umständen des Rechts, dies später zu unterbinden (so auch Kammer, Urteil vom 9. Juli 2014,318 S 120/13).

Das Landgericht vertritt also die  Ansicht, das ein dinglich gesichertes Sondernutzungsrecht nicht mit einem  „richtigen“ Grundstückseigentümer zu vergleichen sei, da es sich nicht um den Kernbereich des Eigentums handeln würde. Auch wenn ein anderer nun die Fläche benutzen würde, blieben sie doch nominell „Eigentümer“. Daher sei das Eigentum nicht verletzt. Und wer sich lange genug nicht gegen eine Nutzung durch den anderen wehrt, hat Pech gehabt, unabhängig davon, dass der Gesetzgeber  in § 902 BGB (Unverjährbarkeit dinglich eingetragener Ansprüche) (siehe BGH a.a.O.) eigentlich etwas anderes regelt. Denn eine Wohnungseigentümergemeinschaft sei irgendwie anders zu behandeln. Dabei muss sich der Wohnungseigentümer sogar das „Hinnehmen“ des Voreigentümers zurechnen lassen, da nach Ansicht des LG Hamburg (unter Bezugnahme auf eine ältere Entscheidung des OLG Celle)  auch die Verwirkung des Voreigentümers auf den Erwerber „übergeht“.

Bei einem  Vergleich zwischen der „real“ geteilten und der nach „WEG“ geteilten Doppelhaushälfte zeigt sich die fehlende Nachvollziehbarkeit der Entscheidung:

  • Der „real“ Eigentümer einer Doppelhaushälfte kann auch nach 25-30 Jahren Herausgabeansprüche nach § 985 BGB geltend machen
  • Der „WEG“ Eigentümer einer Doppelhaushälfte kann nur einige Jahre die Herausgabeansprüche nach § 985 BGB geltend machen, danach muss er immer Verwirkung fürchte.

Begründung für die Entscheidung durch das LG Hamburg: Der WEG Eigentümer ist nicht so betroffen, weil er ja mit den anderen WEG Mitgliedern immer noch Eigentümer ist, auch wenn er es nicht mehr alleine nutzen kann. Dass das Sondernutzungsrecht des WEG Eigentümer durch die Teilungserklärung dinglich eingetragen ist, und der BGH ausdrücklich auf den dinglich Berechtigten abstellt, wird dabei nicht berücksichtigt.

Dies halte ich für eine Verletzung der Grundrechte  meiner Mandanten gemäß Artikel 14 GG. Dieser schützt das Eigentum also die  Gesamtheit der Vermögenswerte. Eben auch das Sondernutzungsrecht. Diese Eigentumsrechte werden durch die Entscheidung des Gerichts faktisch enteignet.   Für eine Unterscheidung in einen Kernbereich des Eigentums, so wie etwa das Realeigentum an einem Grundstück, und den im Umkehrschluss auch bestehenden  Randbereich des Eigentums, etwa für den WEG-Sondernutzungsberechtigten, sehe ich weder eine gesetzliche Anspruchsgrundlage noch eine plausible Begründung.

Interessanterweise hat das Berufungsgericht, obwohl ich in allen drei Verfahren die Zulassung der Revision beantragt hatte, diese nicht zugelassen, da Ihre Entscheidung keine  Abweichung von der oben zitierten Rechtsprechung des BGH  sei (??!) und im übrigen nur ein „besonderer Einzelfall“.

Da gemäß § 62 WEG die Nichtzulassungsbeschwerde gesetzlich ausgeschlossen ist, verblieb nur noch die Verfassungsbeschwerde. (Eine Gehörsrüge war nicht notwendig, da ein Verstoß gegen das rechtliche Gehör nicht geltend gemacht wurde, siehe 1 BvR 3057/11)

Jetzt ist Karlsruhe dran, ich bin gespannt ob die Beschwerden zur Entscheidung angenommmen werden.

Ich werde über den Ausgang des Verfahrens berichten.


Günther Koy

Rechtsanwalt  und Fachanwalt für Miet- und Wohnungseigentumsrecht

Rechtsanwälte Mielke Koy Butenberg

Lotharstr. 6

22041 Hamburg

„Der Kernbereich des Eigentums“- Meine erste Verfassungsbeschwerde

Ein Kommentar zu „„Der Kernbereich des Eigentums“- Meine erste Verfassungsbeschwerde

  • 10. Juni 2016 um 8:42 Uhr
    Permalink

    Sehr geehrter Herr Koy, Ihr Vortrag hat ein enormes Interesse bei uns erweckt, da wir uns gerade in einer ähnlichen Situation befinden. Wir bewohnen eine DHH in WEG (Teilungserklärung „als ob real geteilt wäre“, also sind sämtliche baulichen Veränderungen ohne Beschluss erlaubt). Vor 1 Jahr haben unsere Nachbarn auf Ihrer Terrasse einen Wintergarten errichtet, dabei haben sie unsere gemeinschaftliche Sichtschutz-Mauer, die genau auf der gedachten Grenze steht, also auf den beiden Sondernutzungsflächen, aufgestockt und in eine Abschluss-Brandwand für ihren Wintergarten verwandelt, also praktisch unsere Sondernutzungsfläche, auf der die Hälfte der Mauer steht, in ihren Anbau integriert. Unserer Anwalt ist der Ansicht, dass sie sich einen Wohnraum/Sondereigentum auf unserer Sondernutzungsfläche errichtet haben und dadurch unsere Sondernutzungsrechte verletzt haben. Daher fordern wir die Beseitigung der baulichen Veränderung und die Herausgabe unseren „Grundstücks“. Wir befinden uns gerade in einem Rechtsstreit vor dem Amtsgericht München. Es ist wirklich unfassbar, was uns bei der Verhandlung vermittelt wird. Der Richter versucht uns mit aller Gewalt zu vermitteln, dass wenn die Mauer bautechnisch für eine Abschluss-Brandwand geeignet sein soll, stellt der Wintergarten der Nachbarn keinen Nachteil für uns dar. Also sieht er in der Nutzung unserer Sondernutzungsfläche durch den Anbau der Nachbarn keinen Nachteil, da ein Überbau wegen der fehlenden Realteilung ja ausgeschlossen ist. Wir sind fest entschlossen, unser Ziel bis zum BGH zu verfolgen, da unser Anwalt genau wie Sie der Ansicht ist, dass Sondernutzungsrechte zu Grundrechten gehören. Es wäre wirklich sehr hilfreich von Ihnen zu hören, wie es mit Ihren Fällen vor dem BGH aussieht. Für eine Rückmeldung wären wir Ihnen sehr dankbar. Vielen Dank und viele Grüße

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